Schädlich im Wald, nützlich im Offenland

Forschungsvorhaben zur Offenlandpflege mit Rotwild startet auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr

Weiblicher Rothirsch (Alttier) mit Sender (Foto: Luise J. Beckmann)

Göttingen/Dresden, 9. Dezember 2014. Die Universitäten Göttingen und Dresden wollen untersuchen, welchen Beitrag freilebende Rothirsche bei der Pflege von Offenlandbiotopen leisten können. Das fünfjährige Pilotprojekt wird koordiniert vom „Institut für Wildbiologie Göttingen und Dresden e.V.“ und gefördert aus Mitteln des Zweckvermögens des Bundes bei der Landwirtschaftlichen Rentenbank. Ein wesentlicher Initiator des Projektes ist der Geschäftsbereich Bundesforst der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA).

Als Projektgebiet wurde der Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern ausgewählt. Er wird von den amerikanischen Streitkräften genutzt, die Flächen betreut der zuständige Bundesforstbetrieb der BImA. Eine wildtierwissenschaftliche Vorstudie zeigte bereits, dass der dortige Rothirschbestand die offenen Teile des Lebensraumes intensiv nutzt – ein Ergebnis des gemeinsam vom Militär und Bundesforst entwickelten Wildtiermanagements.

Wertvolle Offenlandflächen erhalten

Das Rotwild ist in Deutschland unter anderem durch intensive Landnutzung weitgehend zu einem heimlichen Waldbewohner geworden. Während die Tiere im Wald massive Schäden bei der Waldverjüngung verursachen können, könnte ihr Appetit auf junge Triebe im Offenland einen wichtigen Beitrag zum Erhalt dieser besonders naturschutzwürdigen Lebensräume leisten. Große offene und halboffene Landschaften prägten früher die mitteleuropäische Kulturlandschaft und boten einer Vielzahl von heute seltenen Tier- und Pflanzenarten Lebensraum. Außerhalb von aktiven bzw. ehemaligen militärischen Übungsplätzen sind solche Offenlandlebensräume jedoch nur noch selten und auf kleiner Fläche zu finden. Deshalb ist ihr Erhalt ein zentrales Ziel des Naturschutzes. Um den offenen Charakter solcher Biotope zu erhalten und das Aufkommen von Büschen und Bäumen zu begrenzen, sind Nutzungen oder regelmäßige Pflegeeingriffe erforderlich. Diese erfolgen bisher durch technische Maßnahmen oder durch die Beweidung mit robusten Haustierrassen. Beide Verfahren verursachen erhebliche Kosten.

Rothirsche mit GPS-Sendern

Das gestalterische Potenzial wildlebender heimischer Huftiere wie dem Rothirsch wurde hierfür bisher nur in Form von Gatterhaltung genutzt. Mithilfe des neuen Forschungsprojekts soll nun ergründet werden, welchen Beitrag freilebende Rothirschvorkommen zur Pflege von Offenlandbiotopen leisten können. Hierzu wird in zwei unterschiedlichen Teillebensräumen die Vegetationsentwicklung in Abhängigkeit vom Aufenthalt der Tiere untersucht. Geklärt werden soll etwa, wo sich das Rotwild zum Fressen, Wiederkäuen und Ruhen aufhält und welche Auswirkungen das Verhalten auf die Vegetation hat. Geplant ist, bis zu 30 Rothirsche mit GPS-Sendern auszustatten und so auf ausgewählten Testflächen detailliert die Fraßeinwirkung auf die Vegetation zu ermitteln. Untersucht werden zudem die Wechselwirkungen zwischen der Beweidung durch Rothirsche und gezielten Pflegemaßnahmen wie Abrennen und Mähen der Flächen.

Der Projektansatz ist für eine umfangreiche Gebietskulisse in ganz Deutschland von Interesse. Im Fokus stehen dabei besonders große – zum Teil noch aktiv oder ehemals militärisch genutzte – Bundesliegenschaften, die Flächen des Nationalen Naturerbes sowie andere große Naturschutzflächen mit erhaltenswerten Offenlandlebensräumen. „Diese für die Nahrungsmittelproduktion nicht zur Verfügung stehenden Flächen sind außerordentlich wichtig für den Naturschutz und den Erhalt von Biodiversität in Deutschland", erläutert Dr. Christian Bock, Bereichsleiter für das Fördergeschäft der Landwirtschaftlichen Rentenbank. „Das Vorhaben leistet damit einen wichtigen Beitrag, zweifellos bestehende Flächenkonkurrenzen zwischen Landwirtschaft und Naturschutz zu entschärfen. Die Zielsetzung unserer Innovationsförderung, eine nachhaltige und effiziente Landnutzung zu gewährleisten – sowohl für landwirtschaftliche als auch für naturschutzfachliche Zwecke – wird mit diesem Projekt hervorragend umgesetzt".

Rothirsche im Offenland (Foto: Hubertus von Blum)

Gezieltes Wildtiermanagement auf Bundesliegenschaften

„Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben mit ihrem Geschäftsbereich Bundesforst hat dieses Projekt insbesondere deshalb initiiert, weil viele der Flächen, die von uns betreut werden, einzigartige Lebensräume sind“, erläutert der Leiter des Bundesforsts Gunther Brinkmann. Die Flächen beheimaten Tier- und Pflanzenarten wie beispielsweise den Ziegenmelker (Caprimulgus europaeus), die Gelbbauchunke (Bombina variegata) oder den Gewöhnlichen Hirschsprung (Corrigiola litoralis), die andernorts in Deutschland kaum noch zu finden sind.

Der Bundesforst ist derzeit auf 58 Liegenschaften mit einer Größe von jeweils über 1.000 Hektar und einer Gesamtfläche von rund 333.000 Hektar als Geländemanager tätig. Dazu zählt auch der Truppenübungsplatz Grafenwöhr. „Wir sind den Amerikanischen Streitkräften in Grafenwöhr sehr dankbar, dass sie uns die Durchführung dieser Studie ermöglichen“, betont Gunther Brinkmann.

Naturschutzziele erreichen, Pflegekosten sparen

„Seit Jahren ist es unser Ziel, durch ein gezieltes Wildtiermanagement das Wild aus den Waldflächen heraus auf die Offenlandflächen zu steuern“, sagt Gunther Brinkmann. Damit werden Wildschäden im Wald wirksam vermieden. Nun wolle man gemeinsam herausfinden, welche positiven Effekte das Rotwild bei der Biotop- und Landschaftspflege im Offenland tatsächlich leisten könne und welcher wirtschaftliche Effekt damit verbunden sei.

Weiteres Informationsmaterial zum Projekthintergrund gibt es unter www.wildbiologie-institut.de, Bildmaterial auf Anfrage bei info@institut-wildbiologie.de.

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